Bear Grylls: Ethik und Anspruch von Abenteuer- und Tierdokumentationen – was ist echt?

Edward Michael Grylls, eher als „Bear Grylls“ bekannt, ist mittlerweile einer der bekanntesten Abenteuerer, die das Fernsehen jemals erlebt hat. Mit Man vs. Wild zeigt er Überlebensstrategien, bei denen man sich oftmals überlegt, wie weit er wohl für die Einschaltquote gehen würde und wie viel Dokumentation sich tatsächlich in seiner Serie finden lässt.

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Wie so oft, wurde Bear Grylls Abenteurer, weil er es sich leisten konnte. Als Sohn irischer Politiker geboren wuchs er gut behütet auf und ging auf das angesehene Etom College, wo er seinen ersten Bergsteigerclub gründete. Das Segeln lernte er im Yachtclub seines Vaters, nebenbei bekam er Stunden in Shotokan Karate und Fallschirmspringen, ein ganz normaler Junge halt.

Mitte der 90er schrieb er sich dann für die britische Armee ein, besser gesagt der Armee für Privilegierte, den Special Forces. Dort war er Teil der Reserve, bis er sich 1996 bei einem Fallschirmunfall beinahe selbst paralysierte.

Auf zum Abenteuer

1998 ging es dann los, Bear bestieg als jüngster Brite (mit 23) den Mount Everest, den Rang hielt er jedoch nicht lange, auf dem für professionelle Bergsteiger mittlerweile wohl eher als Freizeitberg angesehenen Everest schaffte es zuletzt ein 19-Jähriger. Wahrscheinlich deshalb zog es Grylls vor, danach die gefährlicheren Berge, wie etwa den Ama Dablam zu besteigen.

Mittlerweile ist Bear Grylls ein Adrenalinjunkie mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, immer höher hinaus, immer wahnwitziger, ob mit einem Floss oder auf Jetski um Großbritannien herum, in einem Gummiboot über den Atlantik, sowie diverse Rekordversuche im Namen der Global Angels, einer Wohltätigkeitsorganisation von Molly Bedingfield (Mutter von Musikern Daniel und Natasha Bedingfield).

Man vs. Wild

2006 fing Bear Grylls seine Dokuserie Man vs. Wild an, wo er vorwiegend Dinge verspeiste und trank, die man normalerweise niemals in die Nähe seines Küchentisches lassen würde. Was man tut, wenn man im Eis einbricht, wie man dicke Spinnen und Würmer isst, seinen eigenen Urin trinkt…all das und mehr kann man von Bear Grylls lernen.

Die Show selbst ist gut geplant, ca. 10 Tage Vorbereitung stecken in einer Episode, denn bevor der Dreh beginnt, informiert sich Grylls mitsamt seiner Crew genau, was ihn erwarten kann, was es für lokale Besonderheiten, Tiere und Bedingungen gibt, so dass er bei seinen Extremsituationen zumindest mental vorbereitet ist. Teilweise hat sich die Show Kritik anhören müssen, da diverse Szenen (etwa eine Bärenattacke oder ein Vulkanausbruch) mehr Fake waren, als reale Situationen, da Ersteres ein Mitarbeiter im Bärenkostüm und Zweiteres unter Spezialeffekten manipuliert war. Das ist vor allem deshalb zu bemängeln, da ein Großteil der Zuschauer immer noch davon ausgeht, dass solche Serien die Wahrheit wiedergeben und sich in ähnlichen Situationen in unnötige Gefahren begeben würden, nur weil sie annehmen, dass die einzige Möglichkeit, sich vor einem Bären oder Krokodil zu retten, die ist, mit ihnen zu ringen, schlimmer noch, dass Bären immer und auf jeden Fall angreifen würden. Für eine Tierart, die vom Aussterben bedroht ist, sollte es keine weiteren Gründe geben, sie in freier Wildbahn zu erschießen.

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Realität vs. Dokumentation

Besonders dann, wenn so eine Sendung auf einem Kanal und in einem Stil gesendet wird, der impliziert, es würde sich um eine realistische Dokumentation handeln, ist es nicht weit her, bis man vor einem ethischen Dilemma steht. Ähnlich wie Michael Moores Taktiken, mit denen er auch noch einen Oscar für Dokumentation gewonnen hat, kann es so nämlich schnell passieren, dass das Aufdecken der vermeintlich realistischen Drehbedingungen, jegliche tatsächlich wahren Behauptungen negiert. Sprich, der Moderator wird unglaubwürdig, sein Ziel verliert an Wirkung und die Elemente, die real und lehrreich waren, werden nicht mehr aufgenommen. Das wäre noch die beste Alternative, denn im schlimmsten Fall muss man davon ausgehen, dass die Zuschauer alles glauben, was sie sehen und das ist meistens forciert und manipuliert.

Es stellt sich die Frage, ob es wirklich nötig ist, Tiere vor laufender Kamera zu töten und zu essen, selbst wenn in der Nähe wachsende Pflanzen genauso gut Nahrung bieten könnten (wie Grylls oft auch Minuten vorher betont). Hier geht es selten darum, aufzuzeigen, wie man in freier Wildnis überlebt – denn ein Wissen über Pflanzen reicht oftmals schon aus, um alle nötigen Nährstoffe zu bekommen, das Töten und Verspeisen von Klapperschlangen, Eidechsen und Insekten gilt dann eher der Unterhaltung des Zuschauers und ist ehrlich gesagt aus ethischer Sicht mehr als fragwürdig.

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Ethischer Anspruch

Denn gerade heutzutage, wo beispielsweise für fiktive Filme und Serien sehr strenge Regeln eingehalten werden müssten, was das Drehen mit Tieren angeht, sollte eine vermeintliche Dokumentation keine Narrenfreiheit haben, wenn sie nur behauptet, es würde zu einem pädagogischen Zweck geschehen. Wie viel ist nötig, um die Zuschauer zu halten? Im Fall von Bear Grylls und anderen Überlebensexperten, die vor der Kamera quasi nie gezwungen sind, Tiere zu töten, ist es eine verlorene Gratwanderung, denn das Töten ist unnötig, dient nur dem Schockeffekt und ähnelt daher Disneys berühmter Tierdoku, in der Lemminge von einer Klippe gejagt wurden. Mehr, als dass es lehrreich ist, ist es Fehlinformation, denn oftmals bekommt Grylls bei dem Fangen der Tiere auch noch Hilfe von Spezialisten, die ihm die Beute mundgerecht vorbereiten.

(In diesem Clip wurden laut Artikel – siehe Link oben – einige Piranha gefangen und in seichtem Gewässer niedergelassen, nachdem Grylls Probleme mit Pfeil und Bogen hatte, übernahm ein Spezialist die Aufgabe, während die Kamera so geschickt schwenkte, dass es aussieht, als hätte er den Fisch getötet)

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Hinzu kommt, dass Tiere gefährlicher dargestellt werden, als sie eigentlich sind, was zu einem teilweise überzogenen Umgang mit diesen Tieren führen kann. Oftmals werden sie – wenn sie nicht gerade „gebuchte“ Filmtiere sind – in ihrem Lebensraum gestört, sind also aus gutem Grund aggressiv. In einer realen Überlebenssituation würde man ihnen wohl kaum derartig auf die Pelle rücken, aber für die Unterhaltung machen es Leute wie der verstorbene Steve Irwin oder Bear Grylls immer wieder, betonen, wie gefährlich die Tiere sind, so dass viele der vom Aussterben bedrohten Kreaturen als zu tötende Monster im Kopf der Zuschauer hängen bleiben. Natürlich muss man nicht davon ausgehen, dass alle Zuschauer sich nun mit einem Gewehr bewaffnet aufmachen, um diese „Monster“ zu töten, aber es ist sicher der Fall, dass sie seltener gewillt sind, für die Rechte dieser Tiere zu kämpfen und sie vor dem Aussterben zu bewahren.

Das Drama geht vor

Jeffery Boswall schrieb darüber schon 1988 und hob die gröbsten Fehler von Dokumentarfilmern hervor: das Vermenschlichen von Tieren, so dass ihre wahre Natur verschleiert wird, das Stören ihres natürlichen Habitats und das bewusste Manipulieren von Situationen, etwa, wenn Beutetiere so lange gejagt werden, bis sie für die Jagdaufnahme des Raubtieres „bereit“ sind, gerissen zu werden oder wenn zwei gefährliche Raubtiere, die sich unter normalen Umständen nie treffen würden, aufeinander gehetzt werden, damit sie kämpfen. Dabei sind die wahnsinnig erscheinenden Fressattacken von Haien und Bären oftmals durch blutende Köder u.A. herbei geführt worden, geschehen in der Wildnis also relativ selten bis gar nicht. Doch entspannte Bären, die an Beeren knabbern und Haie, die nicht mehr fressen, als sie benötigen und auch eher kleine Fische angreifen, sind nicht so wirksam und heben die Einschaltquoten nicht in die Höhe, weshalb selbst angesehene Dokumentarfilmer auf manipulative Drehtechniken zurück greifen, um das Budget und den Sendeplatz oben zu halten.

Boswells Aufsatz geht auf die kleinsten Details ein und – selbst wenn diverse Mittel sicher nicht so gefährlich sind, wie er sie darstellt – sensibilisiert den Zuschauer auf all die Tricks, mit denen Dokumentarfilmer arbeiten, von der Musik angefangen bis zu Schnitt und Ton/Bild-Manipulation. Genau hier wird dann auch unsere Rolle hervor gehoben, denn auch wir als Zuschauer müssen natürlich hinterfragen, was wir sehen, nur weil es unter dem Deckmantel der Wissenschaft präsentiert wird, heißt es noch lange nicht, dass das Gesehene unantastbar ist, ganz im Gegenteil, je mehr Sinne beeinflusst werden – und das fängt bereits bei der Wahl der Hintergrundmusik an – desto vorsichtiger sollten wir mit der Botschaft der Sendungen sein.

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Grylls lenkt ein

Immer wieder betonte Grylls, dass es in der Serie darum geht, in absoluten Notsituationen zu reagieren, nach einiger Kritik musste er erneut darauf hinweisen, dass er keine Überlebensstrategien bietet, sollte man irgendwo gestrandet sein – denn man hat immer bessere Chancen, wenn man an Ort und Stelle bleibt, anstatt einfach in die Wildnis zu rennen und seinen Urin zu trinken – sondern zeigt, was man im absoluten Notfall machen kann, besser gesagt, könnte, aber nicht unbedingt müsste. Dabei bekommt er Hilfe von seiner Crew, sollte es zu gefährlich oder extrem werden, auch das wurde erst offen am Anfang der Serie notiert, nachdem die Stimmen der Kritiker lauter wurden.

Man muss Grylls wohl nicht vorhalten, dass er unethisch ist oder den Zuschauer hinters Licht führen will, doch es stellt sich die Frage, warum er das tut, was er tut, wenn nicht, um Drama zu kreieren, wo keines ist. Ein privilegiert aufgewachsener Engländer, der wie ein kleiner Junge in sicheren Rahmenbedingungen Abenteurer spielt, Respekt sollte es dafür nicht geben und einen Sendeplatz auf einem Doku-Kanal noch weniger.

Zuletzt bleiben die großen Fragen: Wenn es jeder so macht, kann man Man vs. Wild wirklich Vorhaltungen machen? Und welche Verantwortung hat der Zuschauer, das Gesehene zu reflektieren? Dokumentationen werden nicht selten als wahrhaftig anerkannt, zu selten beschäftigt man sich mit den tatsächlichen Quellen und Vorgängen, doch genau das sollte man machen, denn Wissenschaft ist auch das ständige Hinterfragen der angeblichen Fakten.

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