David Foster Wallace – Am Beispiel des Hummers

David Foster Wallace hat seinen Aufsatz Am Beispiel des Hummers bereits 2004 veröffentlicht, doch nun ist auch eine deutsche Übersetzung erhältlich. In einem Mix aus Reportage und Essay sinniert Wallace über die moralische Verwerflichkeit des Hummerkochens.

David Foster Wallace – Der Antiheld der amerikanischen Gegenwartsliteratur

Wallace bekam zu Lebzeiten nie die Anerkennung, die ihm für sein Werk eigentlich zugestanden hätte. Viele seiner Essays und sogar sein Meisterwerk „Infinite Jest“ wurden erst 2009, also ein Jahr nach seinem Freitod, ins Deutsche übersetzt. Zu den besten Buchtipps gehört auch „Am Beispiel des Hummers“.

Es handelt sich hier um den exzellent übersetzten deutsche Titel des titelgebenden Essays „Consider the Lobster“, den Wallace zusammen mit diversen anderen Aufsätzen 2005 in einem Buch als Sammelband veröffentlichte.

Wallace wurde tatsächlich durch das amerikanische Magazin Gourmet beauftragt, am jährlich stattfindenden Hummerfestival in Maine teilzunehmen. Das Wallace sich nicht gerade als Reisefreund einen Namen gemacht hat, dürfte hinlänglich bekannt sein. Mit meisterhafter Beobachtungsgabe schmeisst sich der zynische Ausnahmeschriftsteller also in das bunte Treiben rund um den grössten Hummerkochtopf der Welt.

Am Beispiel des Hummers – Ein ambivalenter Essay von David Foster Wallace

Als Prämisse für sein Traktat stellt Wallace die Frage in den Raum, ob es überhaupt moralisch vertretbar ist, ein schmerzempfindliches Wesen bei lebendigem Leib in kochendes Wasser zu werfen, und was vertretbar in diesem Kontext überhaupt bedeutet. Allerdings vermeidet Wallace es in seinem Essay, auf die bekannte PETA-Doktrine zurückzugreifen, und betont sogar, das Tiere nie so wichtig wie Menschen sein können.

Dennoch stellt der Autor in drastischer Weise den barbarischen Vorgang zur Schau, der in den Gourmetküchen gerne verharmlost wird. Einer von Wallaces spitzfindigen Vergleichen als Beispiel: Es ist in Restaurants überall auf der Welt völlig normal, sich den Hummer aus einem Aquarium selbst auszuwählen, und nicht selten wird er dann direkt am Tisch zubereitet. Wenn man sich die gleiche Situation mit einem Rind vorstellt, wird die Absurdität der Szenerie erst richtig deutlich.

Am Beispiel des Hummers – Eine unbequeme Wahrheit

David Foster Wallace zieht in seinem Essay diverse wissenschaftliche Quellen zu Rate, doch zu einem wirklichen Ergebnis kommt er nicht. Interessanterweise propagieren die Hummerfreunde des Maine Lobster Festivals energisch die Schmerzunempfindlichkeit des schmackhaften Krustentiers. Sie gehen sogar soweit zu behaupten, dass das Nervensystem des Hummers dem eines Grashüpfers gleiche, und das er praktisch über kein Gehirn verfüge.

Die krasse Gegenposition nimmt PETA ein, deren Vertreter sich aus Althippies rekrutieren, die in der Schlange vor dem grossen Kochtopf Aufklärung propagieren. Demnach sei der Hummer ein hoch sensibles, emotionales Wesen.

Vermutlich liegt die Wahrheit zwischen diesen beiden Standpunkten, doch Wallace legt sich auf nichts fest, sondern führt lediglich die Fakten aus, die wir im Alltag aus Bequemlichkeit gerne ignorieren. Der Todeskampf des Hummers ist im Topf nämlich tatsächlich zu hören.

Wie wir mit dieser Information umgehen, ob wir sie beispielsweise bei Gutefrage.net eingeben, oder überhaupt in irgendeiner Form verarbeiten, bleibt uns letztendlich selbst überlassen. Das Beispiel des Hummers kann als ein Bestandteil der Informationsflut verstanden werden, mit der sich ein Mensch des 21. Jahrhunderts in jeder Minute herumschlagen muss.

Um der Überreizung zu entgehen, blenden wir selektiv aus. Und diese teilweise unbewusst ablaufende Selektion zu Gunsten eines bequemen Alltags ist das wirklich Beängstigende.

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