John le Carré: „Marionetten“ – Terrorwahn nach 9/11

Endlich ist er da, der neue John le Carré: In „Marionetten“ beschäftigt er sich mit dem 11. September und seinen Folgen. Unter dem Deckmantel der Sicherheit wird jeder zum Verdächtigen und der Staat benutzt diesen Vorwand für Gesetzesänderungen und Einschränkungen der Freiheitsrechte.

Das Buch ist damit hochaktuell und zeigt uns das Chaos unserer eigenen Gesellschaft und vor allem deren Systeme, allen voran hier die Geheimdienste, auf. Inspiriert wurde der Autor le Carré, der in den 1960er Jahren selbst zum britischen Geheimdienst MI6 gehörte, vom Schicksal des Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz, der zu Unrecht dort festgehalten und brutal gefoltert wurde.

Im Zentrum von „Marionetten“ steht der junge muslimische Tschetschene Issa, von dem die Russen behaupten er sei ein Terrorist. Sein Vater war russischer Oberst und hat einst seine tschetschenische Mutter vergewaltigt. Issa sollte von seinem Vater zu einem „richtigen“ Russen erzogen werden, doch er fühlt sich mehr als Tschetschene.

Weil sein Vater Geld aus schmutzigen Geschäften hat, das er bei einem schottischen Banker geparkt hat, kann Issa gerade noch so nach Deutschland fliehen. Doch früher oder später wird er verhaftet, abgeschoben und in Russland gefoltert werden.

Issa kommt zunächst bei einer türkischen Familie in Hamburg unter. Hier will ihn Annabell, eine Bürgerrechtsanwältin vor seinem Schicksal bewahren. Doch sie steht ziemlich allein da, denn der einzige Ausweg für Issa wäre ein deutscher Pass. Ein Mitarbeiter des Geheimdienstes bietet ihm diesen schließlich an, wenn er ihn im Gegenzug in islamistische Kreise einführt.

Doch der deutsche Geheimdienst arbeitet ziemlich chaotisch und so haben andere Stellen wieder andere Pläne mit Issa. Und da wäre dann auch noch der britische und der amerikanische Geheimdienst. Zusätzlich mischt sich der schottische Banker noch in das ein und Issa gerät zwischen die Fronten. Alle diese Organisationen verfolgen ihre Pläne und denken sie würden eigenmächtig handeln, doch in Wirklichkeit sind sie alle auch nur wieder Marionetten einer höheren oder weiteren Instanz…

Ein wirklich spannend und toll geschriebenes Buch, das einem wieder einmal mehr unsere verdrehte Wirklichkeit klar macht. Gerade nach Beschlüssen wie dem BKA-Gesetz sind Bücher wie dieses enorm wichtig. Mit le Carrés Sprache und Erzählweise können bestimmt nicht alle etwas anfangen, denn die Spannung stützt sich mehr auf politische Brisanz und gute Recherche als auf Action oder Verfolgungsjagden.

Le Carré hinterlässt den Leser mit einigen Fragen , die ihn oder besser uns noch lange beschäftigen werden. Was tut man, wenn man auf einmal in das Visier von staatlichen Organisationen oder Terror-Jägern gerät? Wie beweist man seine Unschuld? Ist wirklich jeder gleich verdächtig? Gibt es so etwas wie Freiheit überhaupt? Die Farce der falschen Sicherheitsversprechungen und des Angstschürens wird hier aufgedeckt. 

In meinen Augen eine tolles Buch, das ich nur jedem empfehlen kann.

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