Edgar Allan Poe: „Der Eroberer Wurm“ – Menschsein ist Schauspiel

Noch einmal ein kleiner Beitrag zum Poe-Jahr, das uns in nächster Zeit noch häufiger begleiten wird… 😉 Heute eins meiner Lieblingsgedichte von Poe (okay, es sind einige, aber hier ein Beispiel 😀 ): „Der Eroberer Wurm“.

In diesem Gedicht beschreibt Edgar Allan Poe das Leben der Menschen als ein Schauspiel, wobei er sich sehr von Shakespeare hat inspirieren lassen. Für ihn hatte dieses Thema aber nicht nur eine übertragene Bedeutung, sondern auch eine persönliche, denn seine beiden Eltern waren Schauspieler.

Und so ist das Gedicht auch nach der klassischen Form des Dramas im Theater aufgebaut. Die Menschen ziehen ihre Bahnen und nehmen ihre Rollen ein und am Ende steht das Untier des Todes, hier durch den Wurm symbolisiert. Am Ende macht er jedes Schauspiel zu nichte. In meinen Augen kann der Wurm aber auch für den Menschen selbst stehen, der sich immer wieder wie ein Untier benimmt und am Ende sogar noch als tragischer Held darstellt. Hier zeigt sich auch unterschwellig Poes großes Talent für subtile Satire.

Der Eroberer Wurm.

Im Weltenraum ist Galanacht.
Im Theater sitzt gedrängt
Eine Engelschaar in Festestracht,
Verschleiert, zährendurchtränkt
Und lauscht einem wechselvollen Stück,
Wo Furcht und Hoffen sich drängt,
Dieweil im Orchester Sphärenmusik
Sich langsam hebt und senkt.

Gottähnliche Mimen murmeln leis
Den Text und kommen und gehn
Auf großer, formloser Wesen Geheiß,
Die in den Coulissen stehn,
Mit ernsten Geberden, feierlich stumm
Die Wände schieben und drehn,
Und mit ihren Flügeln in’s Publikum
Unsichtbares Leiden wehn.

Dies Drama, wechselvoll, fieberisch,
Es bleibt der Welt unverkürzt,
Mit einem scheckig bunten Gemisch
Von Tollheit und Sünde gewürzt,
Dahinter sich lauter Elend und Graus
Zum verworrenen Knoten schürzt,
Und ein Phantom sich unter Applaus
In das ewige Dunkel stürzt.

Doch sieh! eine Form aus ekler Brut
Schleicht in den Mimenknäu’l –
Ein kriechendes Unthier, roth wie Blut,
Das sich windet und windet, dieweil
Es nach und nach die Mimen verzehrt
Unter der Opfer Geheul
Und die Engelschaar ein Schauder durchfährt
Ob solch unendlicher Greu’l.

Aus sind die Lichter – ausgeweht –,
Mit der Wucht eines Sturmes fällt
Der Vorhang, ein Leichentuch, sternbesät
Ueber das bretterne Zelt.
Die Engel erheben sich abgespannt
Und erklären der bangen Welt,
Daß die Tragödie „Mensch“ benannt
Und der Eroberer „Wurm“ ihr Held.

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