Was ist eigentlich Intuition?

Was ist eigentlich Intuition?

Die vorherrschende Meinung lautet, dass Frauen besonders viel Intuition und Männer eher keine besitzen. In der Tat wird oft von weiblicher Intuition gesprochen und der Überzeugung, dass Frauen in vielen Bereichen anscheinend ein gewisses Händchen besitzen, Situationen, Menschen, etc. korrekt einzuschätzen und basierend darauf passend zu reagieren sowie zu handeln. Im Gegenzug dazu werden Männer als vernunftorientierter gesehen. Aber gibt es das wirklich? Eine Eigenschaft oder Fähigkeit, die sich abhängig vom biologischen Geschlecht entwickelt und den Menschen daher in die Wiege gelegt ist – oder eben nicht?

Bevor es aber um diese Frage geht, zunächst zur Eingangsfrage: Was ist Intuition überhaupt genau? Der Begriff stammt von dem lateinischen Wort „intueri“ und bedeutet anschauen, erkennen, betrachten. Intuition wird einschlägig definiert als ein Sammelbegriff für Gedanken oder Eingebungen, deren Ursprung unser Unterbewusstsein ist und die ohne aktives Nachdenken entstehen. Dazu gehören Gedankenblitze, das berühmte Bauchgefühl und Impulse, die sich nicht wirklich erklären lassen und deren Herkunft oftmals unklar ist.

Heute wird getrennt, zwischen Intuition als Funktion und als Vorgang. Das bedeutet, Intuition wird dargestellt als eine Art Sinneswahrnehmung, ähnlich dem Sehen, Hören oder Tasten, die es ermöglicht, die eigene Welt auf andersartige und tiefgreifende Weise wahrzunehmen und zu erfahren. Dabei geht sie genau entgegengesetzt zur Forschung und Wissenschaft nicht den Weg über die Deduktion: Basierend auf einer allgemeinen Theorie werden Einzelfälle getestet, um diese Theorie zu unterstützen. Die Intuition erfasst direkt das Ganze, ohne dass erkennbar wäre, wie der Weg dorthin aussieht. Im Vergleich zwischen harten Fakten und dem klassischen Bauchgefühl gibt es einige interessante Zahlen und Daten. Es wird klar, dass unsere tatsächlichen Entscheidungen aus einer konstanten Evaluation von Fakten in Kombination mit Erfahrungen resultieren.

Nun aber zu den Unterschieden zwischen den Geschlechtern: Dass Frauen im Vergleich zu Männern eine höhere Intuition besitzen, während Männer vernunftorientierter handeln, kann in der Wissenschaft nicht eindeutig gezeigt werden, auch wenn sich die entsprechenden Stereotype durchaus, wenn auch nur teilweise, bestätigen lassen. So konnte eine Studie vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin zeigen, dass im Bereich Privatleben Frauen nach Meinung beider Geschlechter durchaus die Nase vorn haben, wenn es um richtige Entscheidungen basierend auf Intuition geht. Im Berufsleben allerdings streute die Verteilung stark. Während Frauen sich beispielsweise als weniger erfolgreich beim Handeln mit Aktien sahen, zeigen sich in der Regel keine tatsächlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Manchmal hingegen treffen Frauen in diesem Bereich intuitiv sogar bessere Entscheidungen als Männer. Bei sozialen Interaktionen im Berufsalltag zeigten sich gar keine Zusammenhänge zwischen der Intuitionseinschätzung und dem Geschlecht.

Andere Studien konnten zudem in einer Stichprobe zeigen, dass Männer über eine bessere Fähigkeit verfügten, ein echtes von einem falschen Lächeln zu unterscheiden. Zudem konnten männliche Probanden Anzeichen für Untreue eher erkennen als weibliche. Während also keine einheitlichen Zusammenhänge zwischen der Intuition und dem biologischen Geschlecht bestätigt werden konnten, handelt es sich bei dem Phänomen eher um eine natürlich vorhandene menschliche Fähigkeit, die trainiert werden kann.

 

Intuition kann als eine Basis für Kreativität verstanden werden. Sie kann die Möglichkeit eröffnen, in einen komplexen Bereich neue Ideen und Ansätze zu entwickeln, ohne vorher aktiv einen Großteil an Fakten gesammelt zu haben. Die Fakten existieren durchaus, es handelt sich also keineswegs um gedankenlose Ergebnisse, allerdings sind sie nicht bewusst, sondern werden ohne, dass der Mensch es bemerkt, gesammelt, zurate gezogen und angewandt. Dies wurde oben schon einmal angesprochen: Es ist eine konstante Evaluation von Fakten in Kombination mit einem umfangreichen Erfahrungsschatz, über dessen Existenz und Umfang man sich meist gar nicht im Klaren ist.

Natürlich gibt es viele Momente, in denen solche schnellen auf Heuristiken, also die ersten im Bewusstsein aktivierten Informationen, basierenden Einschätzungen stereotyp-belastet und möglicherweise falsch sind. Trotzdem sind die Ergebnisse in den meisten Fällen zutreffend, denn sonst wäre die Anwendung dieser Heuristiken keine solch beliebte und häufig verwendete Strategie. An dieser Stelle funktioniert der Vergleich mit Wettervorhersagen relativ gut: Diese basieren, so wie auch die Intuition, nicht auf Gewissheit (hier: bzgl. zukünftiger Windrichtung), sondern auf der Beobachtung vieler Situationen, in denen ähnliche Bedingungen herrschten. Das Wetter kann sich in der Realität immer anders entwickeln als vorhergesagt, die Wahrscheinlichkeit dafür, basierend auf Beobachtung und persönlicher Erfahrung, ist allerdings sehr gering.

Wie aber funktioniert dieses unbewusste aber begründete Wissen? Ein Phänomen, welches dabei im Gehirn eine Rolle spielt, sind die sogenannten Spiegelneuronen. Der italienische Forscher Giacomo Rizzolatti entdeckte 1992 erstmals Zellen im Gehirn von Primaten, die bei der Beobachtung eines Verhaltens bei anderen Primaten auf gleiche Weise reagierten, als hätte der Affe sie selbst ausgeführt. Auch bei Menschen konnte dies bestätigt werden, was einen immensen Einfluss auf die Gehirnforschung ausübte. Die Forschungen befinden sich noch in der Anfangsphase, allerdings werden auch Einflüsse von Spiegelneuronen auf das Mitgefühl angenommen, was den Bereich der Intuition im zwischenmenschlichen Bereich betreffen würde. So wäre der Mensch aufgrund der Spiegelneuronen in der Lage, tatsächlich und im wörtlichen Sinne „mitzufühlen“, was andere Personen wahrnehmen. Eine Fähigkeit, die, wenn zutreffend, zentral für die Intuition wäre.

Auch die Erkenntnisse bezüglich somatischer Marker von António Damásio helfen Intuitionen zu verstehen. Nach dieser Theorie werden jegliche Erfahrungen im Leben mit positiven oder negativen Gefühlen verbunden. Dieses Körperwissen ermöglicht es, bei wiederkehrenden oder ähnlichen Situationen, basierend auf diesen verbundenen Gefühlen, blitzschnell Entscheidungen zu treffen, um ein erneutes Erleben dieses Gefühls zu erreichen oder zu vermeiden. Während man vielleicht nicht einmal mehr weiß, warum ein negatives Gefühl mit der neuen Erfahrung zusammenhängt, ist die Negativität sehr präsent: ein klassischer Fall einer Einschätzung auf Basis von Intuition.

Eine dritte Grundlage für Intuition sind Gewohnheiten und die evolutionäre Programmierung. Gewohnheiten helfen im Alltag bekannte Abläufe ohne viel wiederholtes Nachdenken durchzuführen. Eine Aufgabe, die man oft wiederholt, geht in Fleisch und Blut über und bleibt ein Leben lang erhalten, ein Grund dafür, warum man Fahrradfahren nie verlernt. Oder?

 

Tatsächlich täuschen die gewohnten Handlungsmuster darüber hinweg, dass ein vollständiges Verständnis der Funktionalität eines Konzepts nicht immer vorhanden ist und auch nicht vorhanden sein muss. Wird nur ein kleiner Teil dessen verändert, was die gewohnte Aktivität definiert, so zerfällt die Gewohnheit. Wer auf ein Fahrrad steigt, bei dem die Lenkrichtung vertauscht ist, wird scheitern wie am ersten Tag, an dem er ein Fahrrad bestiegen hat. Erst nach längerem Üben wird auch das umgekehrte Fahrradfahren funktionieren. Der Mensch besitzt also die Möglichkeit, intuitiv hoch komplexe Probleme zu lösen, solange sich keine wichtigen Faktoren verändern. Hinzu kommt die evolutionäre Programmierung, die es, entsprechend dem grundlegendsten Bauchgefühl, ermöglicht, beispielsweise gefährliche Situationen innerhalb von Sekundenbruchteilen intuitiv zu erkennen und entsprechende Reaktionen einzuleiten, noch bevor die Informationen tatsächlich im Bewusstsein angekommen sind. So wird man sich einer Gefahr oft erst bewusst, nachdem die körperliche Reaktion (weglaufen, zurückweichen) schon stattgefunden hat.

Wie können Menschen nun ihre Intuitionsqualität verbessern? Den anfänglich erwähnten Studienergebnissen bzgl. eines nicht vorhandenen Unterschieds bei der Ausprägung von Intuition zwischen Männern und Frauen und den vorgestellten Grundlagen von Intuition folgend, lässt sich zum Beispiel gezielt das Setzen von somatischen Markern beeinflussen. Dadurch lässt sich eine Art Selbstkonditionierung erreichen. Aber auch Übung im Allgemeinen hat, wie in allen Bereichen des Trainings, einen positiven Effekt auf die Intuitionsqualität, denn kehren Situationen regelmäßig wieder, lassen sich über Gewohnheitseffekte gute Reaktionen und ein generell umfangreicher Erfahrungsschatz antrainieren. Wenn sich wichtige Aspekte dieser Situationen in Zukunft nicht ändern, sind diese erlernten Gewohnheiten sehr stabil. So sind die Grundlagen und Auslöser für Intuition sehr vielfältig – und die Möglichkeiten des Trainings sind es ebenso.

 

Artikelbild:  Pixabay, 997123, MoneyForCoffee
Bild 1: Pixabay, 3313288, Moritz320
Bild 2: Pixabay, 558798, cocoparisienne

Werbung
Mehr laden
Load More In Biologie
Comments are closed.

Mehr Wissen

Psychologie: Kann CBD die mentale Gesundheit unterstützen?

In den letzten Jahren hat CBD, kurz Cannabidiol, viel Aufmerksamkeit als potenzielle Unter…